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Die Podiumsgäste (von links nach rechts): Lea Gut, Lehrperson Oberstufe, Studentin Theologie, Grüt / Mirjam Widmer-Menzi, Dr. sc., Pharmazeutin, Uster / Hansruedi Kuhn, Dr. sc. nat. ETH., Spezialist für Labormedizin FAMH, Schwerpunkt Klinische Chemie, Grüt / Moderator: Christian Meier, Pfarrer, Grüt / Daniel Juzi, Global Disaster Response & Security Specialist, Gossau / Roman Kuster, Multimedia-Spezialist, Gossau

Was hält uns als Kirche zusammen? Aktualisiert am: 02.12.2021

Die Meinungen zum Thema Corona gehen auseinander. Das Thema hat Potential die Gemeinde zu spalten. Um dem entgegen zu wirken, lud die Kirchenpflege im Rahmen der Kirchgemeindeversammlung vom Montagabend, 29.11.2021, zu einer moderierten Diskussionsrunde ein.

[Stimmen, im Sinne von kurzen Rückmeldungen zum Montagabend finden Sie am Ende des Artikels.]

61 Personen nahmen an der Kirchgemeindeversammlung teil, zusätzlich auch einige Auswärtige, die separat sitzen und kein Stimmrecht haben. Doch Hansjörg Herren, Präsident der Kirchenpflege, holt per Abstimmung das Einverständnis der Stimmberechtigten ein, dass diese Versammlungsbesucher sich ebenfalls an der Diskussion beteiligen dürfen. Die Kontroverse zum Thema Corona bedeute für die Kirchgemeinde eine grosse Herausforderung, hält er fest. Daher lade sie ein, ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam mögliche Lösungen zu erarbeiten.

Tiefe Ängste werden berührt
Fünf Personen stellten sich für eine Podiumsdiskussion zu Pro- und Kontra Covid-Impfung und entsprechenden Massnahmen zur Verfügung. Lea Gut und Hansruedi Kuhn leben im Grüt, Mirjam Widmer-Menzi in Uster, Roman Kuster und Daniel Juzi in Gossau. Zudem war Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Uni Zürich, als Gast und Impulsgeber anwesend. Wortmeldungen aus der Versammlung waren erwünscht. Mir gefällt dieses offensive Vorgehen. Nicht zum ersten Mal lädt die Kirchenpflege ein, aufwühlende Themen offen miteinander zu besprechen und sich so gemeinsam auf einen weiteren Weg zu begehen. Denn oft schlummern hinter vordergründigen Emotionen weiter zurück liegende Erlebnisse. Sie beeinflussen die aktuelle Reaktion, obwohl sie gar nicht zur Sache gehören. Es ist sinnvoll, solchen Mechanismen auf die Spur zu kommen, bevor man Entscheidungen trifft. Deshalb bin ich hier. Ich möchte mich dem Thema stellen, auf andere Meinungen hören und dann entscheiden, wie ich weitergehe. Daher bete ich darum, dass der Heilige Geist alle Anwesenden aufmerksam zuhören und weise entscheiden lässt.

Statements der Podiumsteilnehmer
Pfarrer Christian Meier moderiert den Anlass. Er macht das gekonnt, stellt gezielte und auch provokative Fragen, welche von den Podiumsteilnehmenden und den Anwesenden aufgenommen werden. Der Ton bleibt bei allen angemessen. Lea Gut gesteht, dass es ihr schwer fällt, all die Informationen zu ordnen. Sie denkt, dass bei etlichen Zeitgenossen dadurch tiefliegende Ängste berührt werden. Roman Kuster überzeugen die widersprüchlichen Artikel in den Medien nicht. Er vermisst Zahlen, die überprüfbar sind. Die These «Mach`s einfach» empfindet er als Affront. Er wolle überzeugt sein, wenn er eine Impfung akzeptiere, und nicht den Verstand ausschalten. Und die Zertifikatspflicht ermögliche eine komplette staatliche Überwachung. Vor allem wünscht er sich, dass es gestattet bleibt, eine andere Meinung als der Mainstream zu haben. Daniel Juzi ist oft in anderen Ländern unterwegs. Er führt aus, dass die Corona-Massnahmen in keinem Verhältnis stehen zum Leiden in der Welt. Es sterben mehr Menschen an Hunger als wegen Corona und den Massnahmen. Andere Krankheiten wie Malaria zählten plötzlich überhaupt nicht mehr. Die körperliche Unversehrtheit sei nicht das wichtigste im Leben, es gehe darum, Reich Gottes zu bauen. Miriam Widmer nimmt die Verantwortung als Cevi-Alpin-Leiterin sehr ernst. Sie ist von der Wirkung der Impfung überzeugt und plädiert dafür. Auch Hansruedi Kuhn führt aus, dass Kranke, die nicht arbeiten können, die Geimpften durch ihr Fehlen belasten. Er hat in den letzten Monaten mehrfach erlebt, dass wenige die ganze Arbeit übernehmen müssen.

Die Vorgaben sind gemacht, es melden sich Gäste zu Wort. Auch sie sind nicht einer Meinung, doch auch sie tragen ihre Argumente in angemessenem Ton vor. Immer mehr wird ersichtlich, dass man einander zuhört. Wenn er dann bemerke, dass ihn Argumente überzeugen, wolle er auch dazu stehen, dass er sich verändert habe, führte ein älterer Mann aus. Ein Gast findet, man müsse zuerst den brennenden Schopf löschen, bevor man sich weiter entfernten Bränden widmen könne. Ein anderer nannte als Beispiel Malaria. Er glaubt, dass es uns auch dann wieder egal sei, wer von Malaria betroffen ist, wenn unser Schopf gelöscht sei.

Freier Wille
Ralph Kunz, Professor für Theologie, zitierte den Apostel Paulus: «Bleibt einander nichts schuldig ausser der Liebe. Die Freiheit hat Grenzen, in der Liebe – die Liebe muss auf die Freiheit achten – sie bedingen einander». Freiheit habe dort Grenzen, wo sie Liebe nicht mehr zulässt. Freiheit und Liebe bedingen einander, führte er aus.

Christen seien Staatsbürger wie alle. Auch sie zahlen Steuern. Sie unterordneten sich immer säkularen Behörden. Die Grenze sei dort, wo der Staat eine Haltung verlange, die Gottes Vorgaben widerspricht, zum Beispiel Sklaverei oder Apartheit. «Fragen wir einander in Liebe: Was ist Gottes Wille? Sind wir jetzt an dieser Grenze?». Gott habe beide angenommen, diejenigen, die sich impfen lassen wie auch diejenigen, sie sie ablehnen, stellte er klar.  Eine Seuche habe die teuflische Tendenz, die Gemeinschaft zu zerstören. Mehrheiten sollten sehr sorgfältig mit Minderheiten umgehen. «Achtet darauf, dass ihr die Gemeinschaft nicht zerstört».

Einander achten
Sein Fazit finde ich sehr hilfreich. Und ich habe die Auseinandersetzung mit dem Thema Covid heute Abend so erlebt. Es wurden verschiedene Meinungen dargelegt. Man wurde sich nicht einig. Aber der Ton blieb sachlich, freundlich, es ist keine Spaltung zutage getreten die verhindern würde, dass man weiter im Gespräch bleibt, aufeinander hört. Ich wünsche mir, dass wir einander respektieren mit den verschiedenen Meinungen. Dass wir gut hinhören, warum sich jemand für die eine oder andere Haltung entschieden hat. Dass wir unseren eigenen Beweggründen, die von unseren Lebenserfahrungen geprägt sind, nachgehen. Und einmal mehr Vertrauen fassen zum Schöpfer über Leben und Tod. In der Bibel sind uns viele Verheissungen gegeben. Er lässt uns nicht allein im dunklen Tal, er führt uns durch. Und ob wir leben oder sterben – wenn wir mit ihm unterwegs sind, bleiben wir auch nach dem Tod bei ihm. Das macht mich gelassen. Ich lebe – hier und nach dem Tod. Werde ich krank, ist er bei mir. Ich habe schon beides gehört. Covid-Erkrankte, die wieder ganz gesund wurden, andere sind gestorben. Das passiert auch sonst im Leben. Wir haben es nicht im Griff, bei allen Vorsichtsmassnahmen nicht. Mein Vertrauen in Gottes Wirken hilft mir. Und so kann ich auch die stehen lassen, die ganz anders denken und handeln als ich.

Mirjam Fisch-Köhler, Freie Journalistin, Seegräben


Sammlung der Voten am Schluss der Diskussion zur Frage: "Was fördert den Zusammenhalt"
Das Gegenüber könnte recht haben; sagen können: "ich könnte mich geirrt haben"; zuhören; es gibt mehr als zwei Meinungen; Fragen: "was würde dir helfen"; im Rahmen der Möglichkeiten Gemeinschaft pflegen; das Beste daraus machen, Freiheiten nutzen; Corona nicht zum einzigen Thema machen; Salz und Licht sein - in Wort und Tat; miteinander im Reich Gottes unterwegs sein - mit Auftrag am Nächsten; akzeptieren, dass es andere Meinungen gibt.
 

Statements zum Montagabend, 29. November 2021

«Der sehr offene, ehrliche und respektvolle Austausch war eine Bereicherung und hat geholfen, eine erweiterte Perspektive auf die Thematik zu gewinnen. Einander ehrlich zuzuhören, das Gegenüber mit seiner Meinung stehen lassen können und auf die gemeinsame Schnittmenge zu fokussieren - dies habe ich als Fazit mitgenommen.»
Judith Frei, Grüt

«Der Output nach 90 Minuten Diskussion war für mich mager. Ich kenne zwar die Meinungen der Podiumsteilnehmenden. Aber welchen Weg unsere Kirche gehen will, weiss ich nach wie vor nicht. Auch das ungleiche Verhältnis von drei Massnahmenbefürworter und zwei -kritiker auf dem Podium fand ich unglücklich.»
Felix Zimmermann, Herschmettlen

«Es war ein offener Austausch ohne Spitzen an die jeweils andere der beiden Seiten und Positionen. Als Gemeindepräsident macht mir gleichwohl Sorgen, wenn am Abstimmungssonntag in den Gemeinden Angst und Sicherheit der Stimmenzählerinnen und Stimmenzähler ein Thema wird.»
Jörg Kündig, Bertschikon

«Ich hoffe nur, dass dieses grässliche Virus die Impfgegner nicht demnächst ins Jensseits befördert oder mit dem Long-Covid geisselt. Sie fürchten sich nicht...Wenn solche Überzeugungen Schule machen, dann werden - wie bei der SVP bereits spürbar - militante Impfgegner ein leichtes Spiel haben»
Christoph A. Reinhardt, Ottikon (am 8.12. hat die Redaktion, in Absprache mit dem Autor, das ursprüngliche Zitat durch einen Auszug aus dem im ZOL erschienenen Leserbrief ersetzt)

«Dass die Kirche das Thema aufgreift, dass die verschiedenen Meinungen in einer positiven Atmosphäre eingebracht werden konnten und dass die Suche nach einem Konsens da war – das hat mich beeindruckt. Gefehlt hat mir persönlich die Diskussion von Lösungsansätzen für das kirchliche Leben.»
Matthias Spiess, Ottikon

«Ich beobachte, wie Diskussionen um die Corona-Massnahmen oftmals aggressiv geführt werden. Der Austausch in der Kirche hingegen erlebte ich als Ringen um Einheit, die uns trotz unterschiedlicher Meinungen verbindet.»
Gabriela Frey, Ottikon

Autor: Redaktion